Aarau (den) — Pfarrer Hanspeter Bar kann noch immer nicht glauben, was sich letzte Nacht abgespielt hat. In die Reihen seiner Kirche hat sich ein Jugendlicher geschlichen! «Er sass ganz hinten und ist mir gleich aufgefallen, weil er weder eine Glatze noch graue Haare hatte.» Der auf etwa 15 Jahre geschätzte junge Mann habe durch seine Anwesenheit den Altersschnitt im Gotteshaus dramatisch nach unten gedrückt und dadurch die ganze Kirchgemeinde verunsichert, so Pfarrer Bar.
«Ich war bei der Predigt extrem nervös, blickte immer wieder in die letzte Reihe. Ich wusste, dass der irgendwas im Schilde führt. Kein 15-Jähriger setzt sich freiwillig in die Kirche, wenn er zu Hause mit dem iPhone spielen könnte, das er gerade zu Weihnachten erhalten hat», so der Geistliche. Dass es sich bei dem Störenfried um einen ehemaligen Ministranten handelt, hält Bar für ausgeschlossen. «Die lassen sich nur blicken, wenn sie für den Gottesdienst eingeteilt sind. Ich habe seit den frühen Neunzigern keinen Jugendlichen mehr in meiner Kirche gesehen.»
«Für die Jungen gibt es Freikirchen»
Auch mehrere betagte Kirchenbesucher fühlten sich von der Anwesenheit des geschätzt 15-Jährigen gestört. «Für die Jungen gibt es Discos oder Freikirchen. Was einer von denen in unserer Kirche verloren hat, ist mir ein Rätsel. Hier drin hat man mit dem Handy keinen Empfang. Noch nicht mal kostenloses WLAN gibt es», sagt die 82-jährige Katholikin Roswita Hollderbein. Auch ihre Kollegin, die 91-jährige Hedwig Trautmann, versteht die Welt nicht mehr. Sie schaffe es nicht mal, ihren 68-jährigen Sohn Walter in eine Messe mitzunehmen. «Und der wäre ja jetzt im perfekten Alter für Gottesdienste.»
Hedwig Trautmann vermutet, dass es sich beim jugendlichen Kirchgänger um einen Obdachlosen handelt, der Heiligabend an einem warmen Ort verbringen wollte. Allerdings spreche dagegen, dass der junge Mann für einen Penner ziemlich gut gekleidet gewesen sei. «Möglicherweise hatte der Jungspund gravierende Schlafstörungen und versuchte durch die Messe etwas Ruhe zu finden. Das könnte ich ihm nicht mal übelnehmen. Ich bin nach 20 Minuten Predigt auch eingeschlafen.»