Zürich (den) – Papierschnipsel, Tränen und brüllende Knirpse – eine Laborstudie aus der Schweiz schockiert. Forscher der Universität Zürich ließen Kinder im Alter von 5 bis 7 Jahren während zwei Wochen Zeitungen auf dem iPad lesen. Im Anschluss wurden die iPads eingezogen und die Kinder erhielten gedruckte Zeitungen.
Innerhalb weniger Minuten änderte sich das Verhalten der kleinen Leser. Sie reagierten vorerst verwirrt, dann aggressiv auf den Rückschritt von digital zu analog. So versuchten 80 Prozent der Kinder, Bildausschnitte der gedruckten Zeitungen weiterhin durch das Spreizen zweier Finger zu vergrößern. Als dabei das Papier riss, kullerten die ersten Tränen über ihre Backen. Auch das Fehlen eines Kopfhöreranschluss am Zeitungsrand sowie keine Videos im Zeitungsinneren sorgten für Ärger.
Richtiggehend aggressiv reagierten die Kinder, als man ihnen erklärte, dass qualitativ hochwertige Zeitungen Geld kosten. So schrie der 6-jährige Lars: «Wollt ihr mich verarschen? Ich soll für etwas zahlen, das ich auf dem iPad gratis und erst noch aktueller haben kann?!»
Kinder griffen Versuchsleiter an
Auch die 5-jährige Lisa machte ihrem Ärger Luft. Sie kannte Zeitungen bisher nur als Stopfmaterial für nasse Schuhe. Als das Forschungspersonal sie aufforderte, ihre Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen, statt in Streifen zu reißen, formte sie aus dem Wirtschaftsteil Papierkugeln und bewarf mit diesen böswillig den Versuchsleiter. Dabei schrie sie: «Keine aktualisierten Infografiken, keine Kommentarfunktion! Wenn ich Nachrichten von gestern hören will, dann telefoniere ich mit meiner Großmutter!»
Journalistik-Professor ist entsetzt
Vincenzo Nero, Journalistik-Professor der Universität Zürich, versucht zu erklären, warum Zeitungen die Kleinen so aggressiv machen: «Einem Kind eine Zeitung in die Hand zu drücken ist wie einem Autofahrer ein Pferd in die Garage zu stellen, mit der Aufforderung, er müsse am nächsten Tag zur Arbeit reiten.»
Allerdings schockiert auch den Experten das Ausmaß der Aggressivität: «In meiner Kindheit, also so um 1973, hatten wir noch Respekt vor Papier. Wir hätten das nie im Leben zerrissen.» Nero erzählt, wie er sich im Labor vor einer aggressiven 6-Jährigen schützen musste: «Ein Mädchen kam schreiend auf mich zu, die Finger schwarz von der Druckerschwärze. Sie habe sich durch die Zeitung mit Pest angesteckt, brüllte sie. Das Gör war total hysterisch. Erst durch mehrere Ohrfeigen konnte ich sie beruhigen.»
Die Forscher der Universität Zürich überlegen derweil fieberhaft, wie man gedruckte Zeitungen den jungen Lesern wieder schmackhaft machen könnte. Ein erster Versuch, Kinder Briefe an ihre Großeltern mittels ausgeschnittener Zeitungsbuchstaben schreiben zu lassen, scheiterte.
Text: Buzz Orgler, Bild oben: Pink Sherbet Photography , Bild unten: David Shankbone