Schock für Jungjournalisten: Nach 14 Praktika folgt Festanstellung

4. November 2013 | Von | Kategorie: Medien, Schweiz
Ein Bild aus glücklicheren Zeiten. Anton Bieber als Chef-Praktikant des Auslandsressorts.

Ein Bild aus glücklicheren Zeiten. Anton Bieber als Chef-Praktikant des Auslandressorts.

Winterthur (den) – Bis vor wenigen Tagen war Anton Bieber ein glücklicher Dauerpraktikant bei einer Schweizer Lokalzeitung.  Der 35-Jährige, der 2007 sein Journalismusstudium abschloss, durfte sein Wissen sogar an jüngere Kollegen weitergeben: «Weil ich bereits in meinem 14. Praktikum und somit dienstältester Praktikant war, hatte ich die Verantwortung über die anderen Praktikanten im Auslandressort», so Bieber.

Seinen Monatslohn von 1’500 Franken besserte sich der Winterthurer auf, indem er den Nachbarn das Altglas entsorgte und am Wochenende als Velokurier für ein Sushi-Restaurant arbeitete. Doch letzten Monat nahm Biebers glückliches Praktikantenleben ein jähes Ende.

Wohnung weg, Freundin weg

«Ein Redaktionsleiter, bei dem ich mich 2008 für ein Praktikum beworben hatte, hat meine Bewerbung aufbewahrt und mich als vollwertigen Journalisten angestellt. Ich bin am Boden zerstört», so Bieber. Was für jeden anderen ein Grund zur Freude wäre, kommt ihm gänzlich ungelegen. «Wegen des höheren Lohns habe ich meine genossenschaftliche 1-Zimmer-Wohnung verloren. Meine Freundin, Philosophie-Studentin im 9. Semester, findet mich bonzig und hat mich verlassen. Sie meinte, wenn sie auf Reichtum aus wäre, hätte sie von Anfang an einen Banker oder PR-Fachmann genommen.»

Doch nicht nur die 4100 Franken Bruttolohn und die gescheiterte Beziehung machen Bieber zu schaffen, auch die plötzliche Verantwortung liegt ihm schwer auf dem Magen: «Ich schreibe im Grunde genommen die gleichen Artikel wie vorher als Praktikant. Aber wenn mir jetzt ein Fehler unterläuft, dann kann ich den Praktikantenstatus nicht mehr als Ausrede benutzen. Der Druck ist riesengross. Ich habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, in die Kommunikation zu wechseln!»

Von der ZHAW schlecht vorbereitet

Anton Bieber hat die Schnauze voll vom Journalismus.

Anton Bieber hat die Schnauze voll vom Journalismus.

Bieber sehnt sich seine Praktikumszeit zurück. Und er erhebt schwere Vorwürfe gegenüber seiner Ausbildungsstätte, der ZHAW in Winterthur. «Uns hat im Unterricht niemand darauf hingewiesen, dass Praktika nach sechs Jahren zu einer Festanstellung führen können», so der 35-Jährige. Er fühle sich verarscht, schliesslich habe er die Journalistenausbildung nicht wegen der rosigen Zukunftschancen gewählt.

«Die Jahrgänge vor mir haben mir bestätigt, dass es praktisch unmöglich sei, im Journalismus Fuss zu fassen. Man brauche sogar Praktikumserfahrung um an ein Praktikum zu kommen.» Bieber fürchtet sich  vor den Reaktionen seiner ehemaligen Mitstudenten. «Viele meiner Ex-Kommilitonen werden herablassend über mich urteilen.Ich habe es nicht geschafft, bis 40 Praktikant zu bleiben, um die nötigen Erfahrungen zu sammeln, die es für einen Job in der Medienbranche braucht.»

Bieber spielt darum mit dem Gedanken, sich demnächst für ein Philosophie-Studium einzuschreiben. «Möglicherweise nimmt mich so meine Ex zurück. Und über positive Jobperspektiven brauche ich mir dann erst recht keine Sorgen zu machen.»

 Text: Pavel Kulicka/ Buzz Orgler, Bild oben: Ophelia Noor, Bild unten: marsmet548 

 

 

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2 Kommentare auf "Schock für Jungjournalisten: Nach 14 Praktika folgt Festanstellung"

  1. Marc sagt:

    Sehr schön

    Ein Kompliment an den die Verfasser dieses Berichtes.
    Scheinbar ins schwarze getroffen. Sonst würde die ZHAW nicht um künftige Studis bangen…

    :-)

  2. Das IAM Institut für Angewandte Wissenschaft der ZHAW kann den Schock des Absolventen absolut nachvollziehen. Es war uns leider zu keinem Zeitpunkt bewusst, dass die Leistungen, die Herr Biber während des Studiums erbracht hat, so schnell zu einer Festanstellung führen könnten. Hätten wir das rechtzeitig erkannt, hätten wir Bieber vor der Gefahr einer Festanstellung gewarnt und ihn mit den 90% unserer AbsolventInnen vernetzt, die spätestens ein Jahr nach Abschluss eine Festanstellung haben. Soweit wir informiert sind, steht das Netzwerk unserer AbsolventInnen (Columni) in solchen Krisenfällen gerne mit Rat und Tat zur Seite.

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