Gefangen im falschen Körper: Mann (35) hielt sich jahrelang für erwachsen

29. Juni 2015 | Von | Kategorie: Wissenschaft
Glenn H. bespritzt vom Pool aus Touristen, die mit Badetüchern ihre Liegen reservieren.

Glenn H. bespritzt vom Pool aus Touristen, die mit Badetüchern ihre Liegen reservieren.

Rapperswil (den) — Äusserlich sieht er aus wie ein normaler 35-Jähriger. Doch Glenn H. ist gefangen im falschen Körper. Seit Jahren versucht sich der Bankangestellte seinem Alter entsprechend zu verhalten. Vergeblich. Immer wieder legt er Verhaltensweisen an den Tag, die mehr einem 8-Jährigen als einem erwachsenen Mann entsprechen.

„Ich mache Furzgeräusche mit den Achselhöhlen, spiele mit Wasserpistolen und verpasse keine Folge von ‚SpongeBob Schwammkopf‘“ so Glenn H. Er habe lange versucht, diese Neigungen zu unterdrücken, auch seiner Freundin zu liebe. „Sabine sagte immer, ich solle mich verdammt nochmal wie ein Erwachsener verhalten.“ Doch so sehr Glenn H. auch gegen die Neigungen ankämpft, er fällt ständig in die alten Verhaltensmuster zurück.

„Ich kann nicht an einem Spielwarengeschäft vorbeigehen, ohne die Modelleisenbahn im Schaufenster zu bestaunen. Trampolinspringen finde ich noch immer das Grösste und wenn mir am Tisch was geschmeckt hat, entweicht mir auch mal ein Rülpser.“ Deshalb habe es schlussendlich auch mit seiner Ex nicht geklappt. „Ihre letzten Worte waren: ‘Werde endlich mal erwachsen Glenn!‘ Dann zog sie den Stecker meiner Playstation und verliess meine Wohnung.“

Mit dieser Eisenbahn brachte Glenn H. seiner Freundin jeweils die Nüsse vor den Fernseher.

Mit dieser Eisenbahn brachte Glenn H. seiner Freundin jeweils die Nüsse vor den Fernseher.

Glenn H. leidet an Kindskopf-Syndrom

Für Glenn H. beginnt nach der Trennung von seiner Freundin die schwerste Zeit seines Lebens. „Als Kind liebte ich es, farbige Kleider zu tragen. Und auch heute noch würde ich am liebsten mit meinem Jurassic-Park-T-Shirt und grünen Shorts in der Bank aufkreuzen. Aber das geht nicht. Jeden Tag muss ich meine wahre Identität in einem langweiligen, grauen Anzug verstecken.“ Glenn H. ist unglücklich. „Abends, wenn ich jeweils in meinem lustigen Taschenbuch las und aus dem Nutellaglas löffelte, fragte ich mich, ob Sabine möglicherweise Recht haben könnte. Ob ich möglicherweise tatsächlich ein Kind im Körper eines Erwachsenen bin.“ Ein psychologisches Gutachten bestätigt dem 35-Jährigen seine Vermutung. Er leidet am sogenannten Kindskopf-Syndrom.

„Fast jeder zweite Mann weist Verhaltensweisen wie Glenn H. auf. Äusserlich sehen sie erwachsen aus, im Kopf sind und bleiben sie aber ihr Leben lang Kinder“, erklärt Psychologe Ralf Baumer das Kindskopf-Syndrom.  Für viele sei es schwierig, sich damit abzufinden. „Oftmals akzeptieren auch die Frauen die Neigung ihres Partners nicht, ähnlich wie das bei Trans-Menschen der Fall ist.“ Allerdings gelinge es den meisten Männern, die Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit zu unterdrücken. Auch bei Glenn H. war das lange Zeit der Fall. „Ich hielt mich ja für erwachsen, redete mir ein, dass alles mit mir stimme.“ Mittlerweile weiss der 35-Jährige jedoch, dass es keinen Sinn macht, gegen sein wahres Ich anzukämpfen. Er hat seinen Job in der Bank gekündigt und betreibt seit einem halben Jahr einen Laden für Modelleisenbahnen. Des Weiteren hat Glenn H. eine Selbsthilfegruppe gegründet, in welcher er Männern in ähnlichen Situationen Mut zuspricht. „Ich habe mich nie im Leben glücklicher gefühlt. Den Erwachsenen spiele ich mittlerweile nur noch, wenn ich mit dem Go-Kart zur Arbeit fahre.“

 

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