Drama in der Ukraine – sensationsgeile Journalisten erhalten keinen Zugang zu den MH17-Leichen

23. Juli 2014 | Von | Kategorie: Medien
Ein Flugzeugwrack in den Universal Studios.

Ein Flugzeugwrack in den Universal Studios.

„Die Situation ist unerträglich“, jammert Roger Killjoy vom britischen Qualiätsmagazin „The Sun“. Seit Tagen versucht der Reporter, Bilder der verunglückten Passagiere des Malaysia Airlines Fluges zu knipsen. Vergeblich. „Die prorussischen Separatisten hielten mich auf Abstand. Ich durfte nur aus der Distanz Trümmerteile fotografieren, abgetrennte Gliedmassen kann man darauf ja nicht mal erkennen! Mittlerweile sind die Leichen abtransportiert, mir fehlen die Bilder.“

Wie Killjoy ergeht es momentan vielen Journalisten in der Ukraine. Ihnen fehlen Fotos. Auch das Durchsuchen der Gepäckstücke ist bis auf weiteres nicht mehr möglich. „Die Pressefreiheit der Medienschaffenden wird mit Füssen getreten und das, obwohl Aufklärung im Falle MH17 so nötig wäre“ sagt Killjoy. Seiner Meinung nach könne die Gesellschaft mit dem Drama mental erst abschliessen, wenn wirklich jeder weinende Angehörige vor eine Kamera gezogen wurde und jedes noch so widerliche Detail über den Absturz veröffentlicht worden sei.

„Klickzahlen sind netter Nebeneffekt“

Diese Zeitung hilft den Lesern, das Drama zu verarbeiten. Ach ja, das Recht am eigenen Bild hört mit dem Tod übrigens nicht auf.

Robert Heinzmann ist Journalist bei einer grossen Schweizer Boulevardzeitung. Er teilt Killjoys Meinung nur bedingt: „Wissen Sie, eigentlich könnte man die Berichterstattung über den Absturz um mindestens 70 Prozent reduzieren. Aber wir Medienschaffenden befinden uns im Sommerloch. Solange also nicht irgendwer ein Krokodil in einem Schweizer See aussetzt, müssen wir weiterhin täglich über die Tragödie berichten. Dass uns das Drama rund um den Absturz super Klickzahlen beschert, ist natürlich nur ein netter Nebeneffekt. Plus die Berichterstattung kostet praktisch nichts. Wir reichern einfach die Agenturmeldungen mit Einzelschicksalen an, die Bilder der Opfer holen wir uns gratis von Facebook.“

Allerdings stört es auch Heinzmann, dass nicht alle Medien gleichberechtigt behandelt werden. „Wir hatten ja nicht das Glück, vor laufender Kamera im Koffer eines Opfers wühlen zu dürfen. Immerhin sind wir dreist genug, diese Aktion eines britischen Journalisten als pietätslos zu bezeichnen, während unsere Zeitung eine Titelseite aus den Gesichtern der verstorbenen Kinder bastelt und dann reisserisch Gerechtigkeit für ihren Tod fordert.“

Allerdings gibt Heinzmann zu, dass es mittlerweile schwer sei, das Thema noch weiter auszureizen. „Nachdem wir die wirrsten Verschwörungstheorien verbraten und auch schon unseren Hauskomiker Hauskolumnisten auf das Thema angesetzt haben, wären wir doch froh, wenn noch ein Krokodil im Bodensee auftauchen würde.“

Bild oben: Vendanta Barooah, Bild unten: Buzz Orgler

Mehr in Medien

Schlagworte: ,

Schreibe einen Kommentar