«google-med» — Patienten sollen Krankheiten selber googeln

5. Mai 2014 | Von | Kategorie: Schweiz
Gemäss "google-med" leidet der 3-jährige Claudio an Asthma. Oder an einer Raucherlunge.

Gemäss „google-med“ leidet der 3-jährige Claudio an Asthma. Oder an einer Raucherlunge.

Luzern (den) – Ab November 2014 präsentiert die Krankenkasse «Sanahealth» ihren Kunden ein neues Versicherungsmodell namens «google med». Mit diesem kann der Versicherte bis zu dreissig Prozent seiner Monatsprämie sparen. Der Clou oder Haken an «google-med»: Der Kunde muss seine Krankheit selbst bestimmen, indem er deren Symptome googelt.

«Wir bieten dem Versicherten genau was er will: tiefe Prämien plus kurze Arzt und Krankenhausbesuche», sagt «Sanahealth»-Sprecher Thomas Künzli. In den USA gibt es «google-med» bereits seit 2011. Rund drei Millionen Amerikaner nutzen den Dienst regelmässig und diagnostizieren sich in den eigenen vier Wänden von der Grippe bis zum Kehlkopfkrebs so ziemlich alles. «Ob jetzt der Arzt für Sie in einem Buch nachblättert oder ob Sie den Job für ihn auf Google übernehmen, kommt doch schlussendlich aufs Gleiche», sagt Künzli.

Versehentlich «Hirntumor» rausgeschnitten

Der Hirnscan eines 30-jährigen Mannes. Die rotgefärbten Areale denken an Sex.

Der Hirnscan eines 30-jährigen Mannes. Die rotgefärbten Areale denken an Sex.

Dass «google-med» nicht immer richtig liegt, zeigt der Fall von Amber Huffman. Die Amerikanerin stiess sich vor zwei Jahren ihren Kopf an einem Türrahmen und litt in der Folge an starken Kopfschmerzen. «Google-med zeigte mir als Ursache für meine Symptome einen Hirntumor an. In Panik überwies ich mich selbst ins Krankenhaus um das entsprechende Hirnareal entfernen zu lassen.» Die Ärzte stellten während der Operation fest, dass mit Huffmans Hirn alles in Ordnung war.

«Weil die aber Angst hatten, bei einer abgeblasenen Operation von der Kasse kein Geld zu bekommen, haben sie das gesunde Hirnareal dennoch entfernt und den Hohlraum mit einer Stahlplatte aufgepolstert.» Huffmann hatte allerdings Glück im Unglück. Die Kopfschmerzen sind seit der Operation weg. Die 38-Jährige kann trotz reduzierter Hirnmasse weiterhin ihrer Arbeit als People-Journalistin und Lokalpolitikerin nachgehen und lebt ohne Phantomschmerzen. «Nur manchmal, wenn ich mit dem Kopf zu nahe an die Mikrowelle komme, spüre ich so ein lustiges Kribbeln hinter der Stirn.»

Urologen können es kaum erwarten

Das «google-med» zu vermehrter Hypochondrie führt, bezweifeln Mediziner. «Bereits jetzt wissen fünfzig Prozent meiner Patienten, was sie plagt, weil sie ihre Symptome vor dem Besuch gegoogelt haben», sagt der Rapperswiler Hausarzt David Gropp  Seine Arbeit werde durch «google-med» vereinfacht. «Im Grunde genommen muss ich nur noch Rezepte ausstellen. Ab November arbeite ich darum noch vormittags und verbringe den Nachmittag auf meiner  Jacht.»

Angst vor Fehldiagnosen seitens der Patienten hat Gropp keine. «Wer sich einigermassen mit Google auskennt, der findet schon raus, was ihm fehlt. Die meisten Krankheiten sind ja bebildert und detailliert beschrieben. Ausserdem liegen auch wir Mediziner mit unseren Diagnosen nicht immer richtig. Zum Glück, sonst gäbe es die tolle TV-Serie Dr. House nicht.» Gemäss Gropp sollen sich vor allem seine Kollegen aus der Urologie den Start von «google-med» herbeisehnen. «Glauben Sie mir, wenn Sie sich an einem Tag zwölf mal die Handschuhe überstreifen müssen, weil es Ihre Patienten im Schritt kratzt, dann sind sie froh um jeden der die Hose anlässt und Ihnen direkt sagt, wo der Schuh drückt.»

Bild oben: Wikimedia, gif: Wikimedia

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